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Teilprojekt DFG- Forschergruppe 875: Napoleon, Borodino und der ,Vaterländische Krieg‘: Zur Popularisierung im Kontext nationaler Identitätsfindung in Russland

Leitung

Prof. Dr. Elisabeth Cheauré

MitarbeiterInnen

Dr. Regine Nohejl

Marina Kahlau

Konstantin Rapp, M.A. (assoziiert über Promotionskolleg „Geschichte und Erzählen“)

Der ,Vaterländische Krieg‘ gegen Napoleon liefert an der Epochenschwelle um 1800 einen entscheidenden Impuls für die Formierung des russischen nationalen Selbstbewusstseins. Im Zusammenhang mit den Ereignissen des Krieges werden die Söhne des „Vaterlands“ (otečestvo), des Imperiums erstmals zugleich als „Söhne Russlands“ (syny Rossii) tituliert. Imperiales und nationales Konzept verschwimmen fortan in problematischer Weise. Die Gestalt Napoleons steht paradigmatisch für die Hybris und das fehlgeleitete Fortschrittsverständnis des „Westens“, der wiederum als Kontrastfolie dient für die Definition der eigenen, russischen Identität und der welthistorischen Mission Russlands. Im 19. Jahrhundert wird dieser Diskurs v.a. in der für das russische Selbst(und Fremd)verständnis enorm wichtigen hochkanonisierten Literatur geführt, das berühmteste Beispiel ist Lev Tolstojs Monumentalwerk Vojna i mir (Krieg und Frieden, 1868/69).
Weitaus weniger bekannt und erforscht sind die Wege, auf denen der russische Napoleonmythos und das damit verbundene Modell nationaler Identitätsbildung in die Alltagskultur vermittelt und auf breiter Ebene im kulturellen Gedächtnis der russischen Gesellschaft verankert wurde. Ebenso wenig wurde bislang ausreichend in den Blick genommen, wie beharrlich das Napoleonmotiv in Zeiten gesellschaftlicher Krisen (die Zeit der großen Reformen nach dem Krimkrieg in den 1850er/60er Jahren; die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, in die auch das 100-jährige Jubiläum der Schlacht von Borodino fällt; der Zweite Weltkrieg, der als „Großer Vaterländischer Krieg“ in direkten Bezug zum Krieg gegen Napoleon gesetzt wird; und nicht zuletzt die Gegenwart) immer aufs Neue aktiviert wird.
In diesem Sinne widmet sich das Projekt der Untersuchung der Popularisierungsstrategien um Napoleon und den ,Vaterländischen Krieg‘ von 1812 in verschiedenen russischen Medien, wobei die Bedeutung des Themas in aktuellen nationalen Identitätsdebatten im Vordergrund steht. Ein besonderes Augenmerk wird auf die für russische nationale Diskurse besonders offensichtliche und erhellende Verwendung von Gender-Konstruktionen gelegt.

Schwerpunkthemen

* Museums- und Denkmalskultur und in Reenactments: Eine wichtige Rolle spielt dabei die direkte teilnehmende Beobachtung der für 2012 auf höchster Regierungsebene geplanten Feierlichkeiten zum 200-jährigen Jubiläum der Schlacht von Borodino.
* Russische Kinofilme (seit den 1960er Jahren) und Fernsehserien. Als Ausgangspunkt dient dabei die vergleichende Betrachtung der filmischen Umsetzung von Tolstojs Krieg und Frieden.
* Populärwissenschaftliche Werke, insbesondere im Bereich der neuen, ideologisch hochaufgeladenen Texte der „Kulturologie“, die eine Neuverortung der russischen Kultur in dem Ideologievakuum versuchen, das nach dem Ende der Sowjetunion entstanden ist.
* Karikaturen und Anekdoten im heutigen Russland.

 Näheres zum Gesamtporojekt finden Sie unter Historische Lebenswelten.